Wussten Sie, dass der Alpenstrandläufer noch vor 150 Jahren zu den typisch münsterländischen Brutvögeln zählte? Diese Erkenntnis und noch vieles mehr vermittelte Prof. Dr. Thomas Fartmann in einem spannenden Vortrag zum Thema „Erhaltung der Biodiversität westfälischer Kulturlandschaften“ beim Neujahrsempfang des NABU-Kreisverbandes Steinfurt im Schafstall des Walshagenparkes Rheine am vergangenen Sonntag.
„Weltweit haben wir bis heute 1,25 Millionen Arten beschrieben. Wie viele es wirklich sind, wissen wir nicht“, so einleitend die Vorsitzende Kerstin Panhoff. Sie zeigte einen Bodenwürfel von 10 cm Kantenlänge und verblüffte mit der Aussage, dass in diesem kleinen Kubus bis zu 10 Milliarden Bodenlebewesen vorkommen – so viele wie es im Jahr 2050 voraussichtlich Menschen auf der Erde geben wird.
Dieses Beispiel zeige auch unser Nichtwissen, obwohl wir sehr genau wissen, dass die Vielfalt der Arten der Grundpfeiler der Ökosysteme ist, die das Leben insgesamt erst ermöglicht. Jedoch, so Panhoff, gehe es der Biodiversität insgesamt schlecht und verwies auf die Gefährdung zahlreicher Arten: „Bei den Brutvögeln in Deutschland sind es fast 50 Prozent, die gefährdet oder bereits ausgestorben sind.“
Das gemeinsame Bekenntnis der rund 200 Staaten auf der Weltnaturkonferenz im Dezember 2022 zum Erhalt und Schutz der biologischen Vielfalt nähme nun auch den Kreis Steinfurt in die Pflicht, den Artenschutz konsequent bei allen Entscheidungen mitzudenken und umzusetzen.
Wie die „Erhaltung der Biodiversität westfälischer Kulturlandschaften“ gelingen kann, erläuterte anschließend der Leiter der Abteilung für Biodiversität und Landschaftsökologie an der Universität Osnabrück, Professor Dr. Thomas Fartmann. In einer anschaulichen und auf den Kreis Steinfurt bezogenen Präsentation verwies Fartmann eingangs auf das Shifting-baseline-Syndrom: Was wir heute als Artenvielfalt erkennten, sei nur ein Bruchteil der Vielfalt, die es noch vor 150 Jahren im Münsterland gegeben habe, wie er am Beispiel der ursprünglich typisch münsterländischen Brutvögel Alpenstrandläufer, Goldregenpfeifer und Birkhuhn illustrierte. Als Ursachen des Artenrückgangs machte Fartmann den Zuwachs an Siedlungs- und Verkehrsfläche, den Verlust an Ödland sowie den Wandel von einer heterogenen, nährstoffarmen, pestizidfreien und bunten Kulturlandschaft zu einer fragmentierten Landschaft mit industrieller Landnutzung und Fettgrünland aus. Um dem Artensterben entgegenzuwirken, seien daher der Erhalt und die Renaturierung von ausreichend großen Lebensräumen mit Habitatverbindungen von elementarer Bedeutung. Angesichts des Klimawandels müssten statt der gewohnten Praxis der Entwässerung die Wasserrückhaltung in der Landschaft angestrebt und Biodiversitätsleistungen in der Agrarlandschaft wie Extensivierungen finanziell stärker honoriert werden.
Die aufmerksamen Zuhörer dankten dem Ökologen mit großem Applaus für seinen informativen Vortrag und mit dem Fazit „Die Hausaufgaben sind aufgegeben – wir müssen sie nur noch machen!“ eröffnete die Vorsitzende Panhoff den anschließenden geselligen Teil, in dem sich bei Kaffee und Brötchen ein reger Gedankenaustausch der Gäste aus Politik und Gesellschaft entwickelte.